Wo wir Männer gerade sind

Beim letzten Weltfrauentag fühlte ich, dass viele Männer den Anschluss verlieren an die Frauen, die viel besser darin zu sein scheinen, sich zu reflektieren und zu entwickeln.

Es hat sich etwas getan seitdem: Mehr Männer sind bereit für Entwicklung. Leider scheinen sich die, die gerne bleiben, wo sie sind, fester einzugraben in ihren Positionen und diese entschlossener zu verteidigen.

Alte ängstliche weiße Männer

Der Widerstand einiger Herren gegen gendergerechte Sprache, Böllerverbot, Veganer, Transmenschen und Tempolimit fühlt sich an, als wenn einem kleinen Jungen das Spielzeug weggenommen wird. Wütend, hinter dem Monitor oder am Stammtisch in Sicherheit sitzend.

Natürlich wäre es geil, wenn wir Macker mal aufstehen würden für Themen wie das Klima, die Pflegekräfte, die Umwelt und vernünftige Bildung für die Kinder, aber darum scheint es nicht zu gehen.

Es scheint, als ob einige festhalten wollen an den Dingen, mit denen sie heute Männlichkeit leben.

Statt mehrere Tage mit Erfahrung und persönlichem Risiko Tiere zu finden und zu erlegen, muss jetzt der Zugang zum Massentierhaltungsfleisch aus dem Supermarkt sichergestellt bleiben, das nur der Papa auf dem Grill zubereiten kann.

Wo früher Männer zur Jagd oder in den Kampf gelaufen oder geritten sind, geht es jetzt übergewichtig und unsportlich mit viel zu großen Autos auf Tour – natürlich ohne Tempolimit, weil sonst der viel zu große Motor noch sinnloser wäre.

Das Gendern ist gefährlich – nicht für die deutsche Sprache, sondern für die ohnehin gefährdete Rolle des Mannes. Mutter, Krankenschwester und Putzfrau waren doch früher auch genug, oder?

Am liebsten keine Veränderungen und alles Alte festhalten – früher war die Welt noch in Ordnung!

Die Gruppen werden immer kleiner, in denen es als Mann ausreicht, sich über „die anderen“ zu ärgern und über Autos, Grillen und Fußball zu reden und erstaunlich wenig über die Bedürfnisse der Partnerin und der Kinder zu wissen.

Es ist nur eine laute, aber immer kleiner werdende Gruppe meiner Geschlechtsgenossen, die leider erstaunlich viel Einfluss auf die Politik und damit unser Leben haben.

Jäger und Kämpfer

Es gibt fast keinen Bedarf mehr für den Jäger und Krieger und schon gar nicht für die übergewichtige, unsportliche, beleidigte Light-Version davon.

Es gibt kaum noch gefährliche Menschen und Tiere, keiner erfriert, wenn der Mann kein Holz gefunden hat und Essen kommt aus dem Geschäft um die Ecke. Der Mann von gestern hat seinen Platz und Aufgabe verloren, so meint man.

Wir brauchen weiterhin männliche Männer – nur halt angepasst an das 21. Jahrhundert.

Welche Männlichkeit wird gebraucht?

Eigentlich geht es nicht um Mann und Frau, sondern um weibliche und männliche Energien. Wir benötigen beide.

Weibliche Energie ist intuitiv, kreativ, passiv, sanft, geduldig, emotional und nährend. Männliche Energie ist zielorientiert, analytisch, linear, stark, hart und aktiv.

Allein diese unzureichende Aufzählung macht deutlich, dass wir immer beide Seiten benötigen und sich diese perfekt ergänzen – nur im Zusammenspiel funktionieren. Kontrolle und Vertrauen, Aktivität und Pause, Intuition und Verstand, Nehmen und Geben.

Wir alle tragen beide Energien in uns, unterdrücken nur häufig die, die nicht zu unserem Geschlecht passt. Wir müssen beide in uns zulassen und vereinigen. Und uns mit anderen Menschen um uns herum ergänzen.

Der schwierige Weg

Das jahrhundertealte Patriarchat ist kurz vor der Auflösung und das ist gut so. Ein Übergewicht einer Seite über die andere ist nie sinnvoll. Es geht um die Balance – und die können wir nur miteinander erreichen.

Wir Männer haben einen schwierigen Weg vor uns. Mindestens die letzten 150 Jahre waren wir bevorteilt, ohne etwas dafür geleistet zu haben. Wir haben die meisten unserer Aufgaben verloren und damit unsere Identifikation und unseren Platz in der Gesellschaft. In einer gleichberechtigten Welt reicht es nicht mehr, einfach ein Mann zu sein. Wir müssen liefern und nicht nur mit Fingern auf andere zeigen, rumlabern oder die Brust rausstrecken.

Dazu brauchen wir Frauen, die nicht darauf warten, dass ihnen ein Mann die Tür aufhält oder für ihren Lebensunterhalt sorgt. Ihr Mädels dürft uns gerne daran erinnern, dass keine Maulhelden gesucht sind, die alten Idealen nachtrauern, sondern Männer, die sich und ihren Platz kennen und sich ihrer Verantwortung für das Zusammenspiel weiblicher und männlicher Kraft bewusst sind.

Eine Lösung

Es wäre so hilfreich, wenn man einfach jedem kleinen Mädchen und jedem kleinen Jungen und allen, die sich anders als das fühlen, einfach eine neue Anleitung geben könnten. Eine Anleitung, wie sie sich in ihrer Rolle benehmen sollten. Aber so einfach ist es (glücklicherweise) nicht!

Wir sind schon als ganze Person nicht klar Mädchen oder Junge, sondern haben mehr oder weniger weibliche oder männliche Anteile in uns. Diese dürfen wir wahrnehmen, zulassen und lernen uns so anzunehmen, wie wir sind. Auch wenn wir damit nicht immer perfekt in das Rollenverständnis von vorgestern reinpassen.

In der Balance in uns und mit anderen findet dann jeder wieder seinen Platz und seine Identität.

Ich lerne immer mehr Männer kennen, die das geschafft haben. Die einen eigenen Platz gefunden haben, sich in sich wohlfühlen und nicht beleidigt eine sinnlose Position verteidigen müssen. Das könnten gerne noch ein paar mehr werden!


Update 04.01.2023

Es gibt Hoffnung – als Beispiel eine Geschichte

Zufällig habe ich gerade ein Video eines kanadischen freiwilligen Kämpfers in der Ukraine gesehen, der erklärte, warum er sein Leben für andere riskiert: Er füllt ein Loch in sich mit der selbstlosen Hilfe für andere. Nicht perfekt um ein Loch zu füllen, aber ein „gutes Geschäft“ für ihn.

Sein Loch hat zu tun mit seiner Vergangenheit, über die er offen erzählt: Seine Mutter tötete sich selbst, als er ein Jahr alt war und sein Vater verließ ihn. Aufgewachsen bei Verwandten, die Probleme mit Alkohol und der Polizei hatten. Opfer sexueller Gewalt mit 11 Jahren. Seit dem zwölften Lebensjahr abhängig von Alkohol und anderen Drogen. Schule abgebrochen und dann zur Armee, um nach ein paar Jahren herauszufliegen wegen Drogen.

Dann Drogen- und Alkoholentzug. Mehrere Firmen gegründet und ruiniert. Beziehungen zu Frauen und Transmenschen, die sich noch kaputter fühlten als er selbst. 2021 nach Schweden ausgewandert für Neustart. Februar 2022 dann aufgebrochen in die Ukraine. Er ist Sanitäter im Kampfgebiet, sammelt Geld für humanitäre Hilfe und verteilt diese.

Warum mich das so hoffnungsvoll stimmt?

Hier kommen so viele Dinge zusammen, die in vielen Kreisen als nicht besonders männlich gelten. Viele würden eine solche Geschichte nicht erzählen, aus Angst, als Mann nicht angenommen zu werden. Er erzählt Dinge, die scheinbar nicht männlich sind – in der Uniform eines fremden Landes, für das er jeden Tag ein Leben riskiert.

Ein großartiger Kontrast auf den ersten Blick, aber eigentlich genau, was wir brauchen:

Offen und ehrlich auf sich selbst schauen. Authentisch sein. Selbst festlegen, wie man die eigene Rolle spielt und sich nicht von anderen in Rollen zwängen lassen. Zugeben, verletzt zu sein und Probleme zu haben. Reflektieren und dann was machen! Aufstehen, wenn Du am Boden liegst!

Die Geschichte hat mich inspiriert, noch offener und ehrlicher zu sein. Noch kaputter und verletzlicher zu sein und das dann nicht als Ausrede zu benutzen irgendetwas nicht zu erreichen oder nicht zu machen!

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