Tag 38 Rua – Santiago de Compostela
08. September 2013
Der gestrige Nachmittag und Abend war eher ruhig. In einem Waschwahn warf ich ziemlich alles an schmutziger Kleidung in die Badewanne und musste dann mangels Hose mit der Unterhose im Garten der Pension die Wäsche aufhängen und später wieder abholen. Abends gab es im kleineren Kreis (die Kiwis waren in einem anderen Ort untergekommen) Abendessen.
Der heutige letzte Tag Laufen fühlte sich etwas merkwürdig an. Eine der Kiwis, die wir im zweiten Café an der Strecke trafen, beschrieb es ganz treffend als ein Gefühl wie Weihnachten.
Am ersten Café des Weges hatten wir die beiden Australier abgeben, mit denen wir die ersten Kilometer gegangen waren. Ihr erinnert Euch? Einer ist katholischer Priester. Bei meinem Versuch herauszufinden, was die beiden von unseren Gesprächen nach oben weitergemeldet hatten, fand ich heraus, dass der andere den gleichen Beruf wie sein Kumpel hat. Die Unterwäsche-Situation schien die beiden aber nicht sonderlich mitgenommen zu haben. Beide hatten ein normales Leben, bevor sie mit ca. 27 Lebensjahren ihren normalen Beruf an den Nagel hängten und sich der Enthaltsamkeit verschrieben. Beide sind sehr aktiv; einer fliegt nach dem Camino in den Süd-Sudan, wo er mit seiner Heimatgemeinde eine Schule gebaut hat.
Der Weg war relativ einfach und selbst wenn es nicht so gewesen wäre, hätte die Motivation locker für 40 Kilometer durch die Berge gereicht. Die vorher geschätzten Kilometer kamen genau hin, obwohl wir uns in Santiago noch etwas verlaufen hatten. Nach 22,22 Kilometern standen wir vor der Kathedrale. Der Platz davor nicht überfüllt mit Pilgern, sondern mit Touristen.
Der Plan war in die Kathedrale zu gehen und danach in das Pilger-Büro, um die Urkunde für die erfolgreiche Pilgerreise abzuholen. Wir kamen pünktlich zu Beginn der sonntäglichen Messe an und wurden informiert, dass die Kirche bis zum Ende in einer Stunde geschlossen bleiben sollte. Also machten wir uns auf zum Pilger-Büro in der Hoffnung, dass alle anderen Pilger in der Messe wären. Leider war das nicht der Fall und wir mussten eine Stunde anstehen, um dann endlich die sogenannte Compostela zu erhalten. Der Empfang im Büro war nett im Gegensatz zur folgenden „Begrüßung“.
Ausgestattet mit Urkunde, ging es zur Kathedrale. Wenn man knapp 800 Kilometer gelaufen ist, um dieses Haus zu erreichen, erwartet man etwas mehr, als das, was wir geboten bekamen. Der Haupteingang, den man normalerweise auf Knien passiert, um eine direkt dahinter stehende Statue zu berühren, war versperrt. Der Nebeneingang war so mit Touristen überfüllt, dass an ein hereinrutschen nicht zu denken war. Die Statue war mit einem Zaun umgeben und der Durchgang wurde von einem Sicherheitsmenschen kontrolliert. Wenn ich bereit gewesen wäre etwas Geld zu bezahlen und mich in die Schlange hinter diverse Touristen anzustellen, hätte ich die Statue auch angrabbeln können, aber da war die Stimmung dafür schon flöten.
Die Kathedrale selbst ist schön. Die Mengen an Touristen ließen leider wenig Ruhe für ein Gebet oder einen andächtigen Moment. Der nächste Schritt für den Pilger wäre gewesen, die Statue von Jakob zu umarmen, die hinter dem Altar steht. Dort musste man zwar keinen Eintritt bezahlen, aber die Schlange der Touristen, die dafür anstanden, war einfach zu lang. Insgesamt fühlten wir uns ziemlich ignoriert – ist nicht das richtige Wort dafür, aber es geht in die richtige Richtung. Der einzige Unterschied zwischen uns und den Touristen war, dass wir 22 Kilometer in den Knochen und einen schweren Rucksack auf dem Rücken hatten. Sehr enttäuschend!
Danach war auf den Frust erst mal ein kleines Mittagessen (gegen 16 Uhr) und ein paar Hopfenkaltschalen fällig. Später abends, nach einem vergleichsweise schlechten Abendessen in der sehr lebhaften Altstadt und diverse alkoholischen Getränken habe ich es dann geschnallt: Es kommt nicht auf die Orte an, sondern auf die Menschen!
In dem relativ guten Hotel, das für die erste Nacht noch von meiner Agentur gebucht wurde, hatte ich für die zweite Nacht selbst online gebucht. Ich fragte, ob ich das Zimmer beide Nächte behalten könne und wurde informiert, dass ich wechseln müsse, weil mir für die zweite Nacht ein viel besseres Zimmer mit eigener Dachterrasse zustehen würde. Also: Die erste Nacht hat mich durch meinen Veranstalter 100 € gekostet und die dazu gebuchte Nacht für 60 € berechtigte mich zu einem viel besseren Zimmer. Ich konnte das Personal aber überzeugen, dass ich lieber in dem schlechteren Zimmer bleiben würde, um mir den Umzug zu ersparen.
Tages-Leistung: 22 Kilometer
Erkenntnis des Tages: Man sollte sich von Orten und Organisatoren nicht zu viel versprechen!