Tag 35 Portomarin – Palas de Rei
05. September 2013
Wetterbericht für heute prognostizierte eine Regenwahrscheinlichkeit von 1 %. Ratet mal … genau, es hat den halben Tag geregnet – also die meiste Zeit unserer heutigen Rennerei.
Die angeblich gute Goretex-Jacke (Pro Shell), die mich statt 400 „nur“ 300 € gekostet hatte, war sehr hilfreich, also wenn man in seiner Jacke schwimmen will. Die Fähigkeit Schweiß nach außen zu transportieren liegt ungefähr auf dem Niveau einer Aldi-Plastiktüte. Wenn ich meinen Poncho dabei hätte, würde ich ab jetzt auf Soft-Shell für leichten Regen und Poncho bei schwererem Umsteigen und die Scheiß-Jacke zu Hause lassen.
Das erste Café, das wir (heute zu viert) ansteuerten, war von geschätzt 100 Pilgern übervölkert, von denen wir zwei vom Sehen her kannten. Alles andere neue Gesichter. Vor der Toilette eine lange Schlange und vor der Gaststätte einige Reiseleiter. Wir zogen relativ fix weiter und fanden wenige Minuten später ein netteres Café mit Platz und gutem Kaffee, was wohl von den Reiseleitern nicht empfohlen wurde.
Etwas später dann eine Herberge mit Café, die von Freiwilligen Helfern aus aller Welt geführt wurde, die jede Woche ausgetauscht wurden. Einer der Helfer erweckte den Eindruck, als wenn nicht mehr viele Pilger durchkommen, die mehr als 30 Kilometern in den Knochen haben. So auch mein Eindruck: Der Anteil an alten Pilgern mit richtigem Rucksack ist bei maximal 10 %, der Rest auf dem Fahrrad, dem Pferd oder mit leichtem Gepäck unterwegs und betreut von Leuten mit Bussen. Diese Leute wurden von meinen englischsprachigen Geschwistern als Day-Tripper bezeichnet. Hat mich sehr gefreut, weil die sich halt ein wenig so anfühlen wie eine Krankheit. ;-)
Später gab es ein Zusammentreffen von Australiern, Neuseeländern und Südafrikanern. Ich schlug vor einen Club zu gründen von Hellhäutigen, die die Ureinwohner ihres Landes ausgerottet oder wenigstens aufs übelste unterdrückt haben. Einen US-Amerikaner hatten wir 10 Minuten vorher getroffen. Glücklicherweise kann man mittlerweile mit meinem Humor umgehen.
Die Kilometer-Angaben nach Santiago sind sehr verwirrend. Einzig sicherer Faktor ist, dass mein Pilger-Führer auf jeden Fall falsch liegt. Die Markierungen am Weg sagen, dass es nur noch 64 Kilometer sind. Mein Reiseführer sagt im Text, dass es noch 65 sind, hat aber noch drei Etappen mit zusammen 70 Kilometern im Programm um die 65 Kilometer zu überwinden.
Jetzt sitze ich in einem netten, kleinen Hotel und hoffe, dass die Klimaanlage meine Klamotten trocken bekommt und schreibe ein wenig.
Morgen kommt der letzte „längere“ Abschnitt mit 30 Kilometern und ich hoffe auf etwas weniger Regen, obwohl, dann haben es die frischen Pilger etwas schwerer …
Heute Abend habe ich mir erst ein circa 1,5 Kilogramm schweren Poncho gekauft, um den nächsten Regentag besser überstehen zu können. Dann gab es ein hervorragendes Abendessen in einem netten Restaurant, mit unter anderem vier Flaschen Wein für vier Personen (das Neuseeländisch-Australisch-Deutsche-Dream-Team). Meine Einblicke in die weibliche Psyche werden immer besser (manchmal bekomme ich auch etwas Angst …) und wir haben immer sehr viel Spaß.
Tages-Leistung: 25 Kilometer
Erkenntnis des Tages: Auch ohne Gelübde konnte ich heute nett sein – ich bin ein bisschen stolz!