11. September 2013
Nach der ersten Nacht im eigenen Bett ein erstes Resultat. Aus Zeitmangel noch nicht so ausführlich wie vielleicht später mal, aber mit sehr frischen Erinnerungen. Dies ist eine Ergänzung zu meinen Halbzeit-Erkenntnissen.
Zunächst ein bisschen Statistik:
- Insgesamt war der zurückgelegte Weg von St. Jean Pied de Port bis Santiago ca. 793 Kilometer lang. Davon bin ich krankheitsbedingt 28 Kilometer und bedingt durch die (Fehl-)Planung der Reiseagentur noch mal 30 Kilometer mit dem Taxi gefahren. Gelaufene Strecke also ca. 735 Kilometer.
- Durch die Krankheit, Pausentage und den Aufenthalt in Santiago bin ich nur 34 Tage gelaufen. Im Schnitt also knapp 22 Kilometer am Tag und dabei habe ich gemäß meiner GPS-Uhr 1600 Kcal verbrannt (gesamt knapp 55.000).
- Insgesamt war ich 174,5 Stunden auf den Beinen, das sind pro Tag 5,5 Stunden. Darin enthalten alles was man auf dem Weg so erledigt: Sightseeing, Pausen, Einkäufe, Stempel für den Pilgerpass besorgen etc. Die Geschwindigkeit war im Schnitt also 4 Km/h. Wenn ich in Bewegung war, also ohne Pausen, lag der Schnitt zwischen 5 und 7 Km/h.
- Geringste Kilometerleistung war 9 Km (wegen Fieber) und die höchste 35 Kilometer an einem Tag.
- Zu den Kilometern auf dem Weg kamen immer noch ein paar Kilometer Sightseeing, Einkaufen und essen gehen am Ziel-Ort hinzu.
- Gewicht Rucksack betrug etwa 9 Kilogramm plus 2–4 Liter Wasser, also 11 bis 13 Kg.
Bewertung der Statistik:
- Ich bin für mein Alter relativ fit, habe Erfahrung mit Wanderungen und dadurch einige Fehler vermieden, die unerfahrene Pilger am Anfang noch machen.
- Die Tatsache, dass ich immer in Einzelzimmern übernachtet habe, war ein Vorteil, da ich bestimmt ruhiger geschlafen habe als andere Pilger. Diesen Vorteil habe ich aber durch zu spätes zu Bett gehen und übermäßigen Alkoholgenuss wieder ausgeglichen. ;-)
- Mein Schnitt von 4 Kilometern in der Stunde bei 22 Kilometern am Tag war teilweise sehr anstrengend, aber führte nicht dazu, dass ich am nächsten Tag noch total fertig war. Es gab Pilger, die deutlich langsamer gelaufen sind und damit weniger Zeit für Pausen, Erholung am Ziel oder Sightseeing hatten. Für mich persönlich war die Geschwindigkeit und Distanz pro Tag perfekt geeignet, um die Reise relativ entspannt laufen zu können. Wer mehr und länger läuft, setzt seinem Körper größere Belastungen aus und riskiert deutlich mehr Blasen und Probleme mit Gelenken und Knochen. Dazu kommt, dass man bei mehr Kilometer pro Tag keinen Blick mehr für die Natur hat und vermutlich weniger kommunikativ ist, da man nur noch auf seine Füße schaut und hofft, dass es irgendwann vorbei ist.
- Die drei Pausentage waren hilfreich, hätten aber wegen der Erholung nicht unbedingt sein müssen. Gut war, dass man mal die gesamte Wäsche waschen und die Stadt in Ruhe durchwandern konnte.
- Als reisender Fotograf ist mir aufgefallen, dass ich Fotos nur noch im Stehen gemacht habe und an manchen tollen Gelegenheiten einfach vorbeigelaufen bin, obwohl die Kamera genau vor der Brust hing. Mehr Kilometer hätten diese Situation vermutlich nicht verbessert.
- Die verbrannten Kalorien hören sich toll an, aber ich habe „nur“ 6 Kilogramm verloren auf dem Weg. Das sagt natürlich nicht viel, da ich gleichzeitig viel Muskelmasse aufgebaut habe, die ja schwerer ist als Fett.
- Diverse Quellen sagen, dass man bei längeren Wanderungen nur 8 % seines Körpergewichtes auf dem Rücken tragen sollte. Bei mir waren es etwa 12 %. Da mein Koffer jeden Tag mitgereist ist, hatte ich teilweise andere Dinge im/am Rucksack als andere Pilger, aber wenn ich anstelle von Kamera und etwas übertriebener medizinischer Ausstattung den Schlafsack und das Waschzeugs mitgeschleppt hätte, wäre dasselbe Gewicht herausgekommen. Obwohl der Rucksack viel schwerer war als empfohlen, empfand ich ihn nicht als zu schwer.
Allgemeines:
Unterkunft: Ich habe immer in meist einfachen Hotels, Pensionen und Hostels in Einzelzimmern übernachtet. Dies würde ich jederzeit so wieder machen. Meine Gewohnheit, spät ins Bett zu gehen, ist in Massenherbergen sehr schwierig. Ich wäre vermutlich jede Nacht nach „Licht aus“ noch zwei Stunden mit der Kopflampe auf dem Bett gelegen. Die Bettwanzen, die es in vielen Herbergen gab, habe ich mir so auch erspart.
Die Gemeinschaft in den Herbergen findet man auch anders; ich habe nur Nachmittage und Abende allein verbracht, wenn ich das so wollte. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass man nicht sehr kontaktscheu ist.
Die Buchung meiner Unterkünfte mit einer Agentur war zwar sehr bequem, aber teuer und im Nachhinein betrachtet unnötig. Es gibt an vielen Stellen am Weg Internet und viele haben von Unterwegs Zimmer gebucht. Man hat zwar keine Garantie, dass man immer genau dort etwas bekommt, wo es am besten passen würde, aber dann geht man mal den einen Tag etwas weiter und an einem anderen Tag etwas weniger als gewünscht. Das spart eine Menge Geld und bringt mehr Flexibilität.
Ausrüstung / Bekleidung:
Meiner Erfahrung nach benötigt man im Sommer
- Einen guten, passenden Rucksack mit etwas Reserve-Platz für Einkäufe auf dem Weg (1-2 Baguette, Getränke, Käse, Salami etc.)
- Medizinische Ausstattung mit mindestens Medikamenten gegen Durchfall, ein Breitband-Antibiotikum, Ibu-Profeen, Blasenpflaster, normale Pflaster, sterile Nadeln zum Aufstechen von Blasen, Tape zum Abkleben von Scheuerstellen und Vaseline
- Einen Regenponcho (selbst die beste Goretex-Jacke war schneller von innen nass, als von außen)
- Eine Jacke, die etwas Wärme bringt und vor Wind schützt. In meinem Fall eine Soft-Shell-Jacke mit Kapuze und Windstopper-Membran; diese hält auch einen kurzen Regenschauer aus.
- Einen Göffel (Mischung aus Löffel und Gabel)
- Ein Taschenmesser mit Korkenzieher
- Einen Teller (möglichst aus Titan, weil sehr wenig Gewicht)
- Eine Trinkblase mit mind. 2 Liter Inhalt
- Mobiltelefon (Smartphone wegen Internet-Nutzung und GPS im Notfall) mit Ladekabel
- Einen Pilgerführer (Buch)
- Zettel und Stift
- Schlafsack
- Zwei Hosen (möglichst abnehmbare Beine), zwei Hemden, zwei Unterhosen und zwei Paar Socken (alles schnell trocknend, atmungsaktiv, UV-Schutz)
- Kopfbedeckung (Hut oder Mütze, mit Luftlöchern)
- Zwei Teleskop-Wanderstöcke
- Leichte bis mittlere Wanderstiefel, die sich auch zur Seite noch extrem weiten können oder Outdoor-Sandalen, die vorn geschlossen sind und die Zehen schützen.
- Badelatschen
- Zahnbürste, Zahnpasta, Zahnseide
- Zwei Outdoor-Handtücher (eines um den Hals für Schweiß, das andere zum Duschen)
- Karabinerhaken um nasse Wäsche oder andere Dinge am Rucksack befestigen zu können
- E-Book-Reader
- Gute kompakte Kamera
- Magnesium in Pulverform
- Papiertaschentücher für die Nase und falls es kein Toilettenpapier gibt
- Pilgerausweis
- Kopie aller wichtigen Unterlagen (Reisepass, Kreditkarten, Reisekrankenversicherung etc.)
- Geld, EC-Karte, Führerschein, Personalausweis/Reisepass
- Kopflampe mit Akkus und Ladegerät
- Kleine Tasche für Wertsachen, wenn man abends ohne Rucksack unterwegs ist
- Wasserdichte Säcke zum Verpacken der Ausrüstung im Rucksack oder Rucksack mit Regencover
- Nice to have: GPS-Gerät mit Karte und Jakobsweg eingespeichert, Badehose, Wäscheklammern, zusätzliche Medikamente, Fleecepullover
Außerhalb des Sommers würde noch dazukommen: Lange Unterhose, Fleecepullover, Handschuhe, wärmende Mütze, Möglichkeiten zum Feuer machen (Feuerstein, Feuerzeug, Papiertaschentücher)
… und das wäre es auch schon. Ich hatte erheblich mehr mit und war froh, dass ich nicht alles wegwerfen musste, sondern es in den Koffer auslagern konnte.
Die Ausrüstung kann man unterwegs nur schwierig ersetzen. Nur in Pamplona (60 Km nach Start) und in Astorga (200 Km vor Ende) habe ich Outdoor-Shops gefunden, die etwas Auswahl hatten. Also am besten von vornherein für Qualität entscheiden und einen Bogen um Läden wie Decathlon machen, wenigstens bei Rucksack, Soft-Shell-Jacke und Schuhen.
Was hat es gebracht:
Zwei Grundsätze haben sich auf dem Weg bewahrheitet: „Der Weg gibt Dir, was Du brauchst, wann Du es brauchst“ und „Jeder bekommt den Camino, den er verdient oder braucht“. Somit macht jeder andere Erfahrungen und lernt andere Sachen. Es gab Leute, die seit langer Zeit wieder Kontakt zu anderen Menschen hatten, die das erste Mal etwas für sich getan haben. Andere fanden zu Gott, wieder andere wollten Zeit mit sich allein verbringen und allen brachte es eine Menge Selbstvertrauen.
Für mich war es wieder mal eine Bestätigung, dass Aufgaben manchmal sehr schwierig oder unmöglich erscheinen, es aber in Wirklichkeit nicht sind. Ich habe wahnsinnig interessante und gute Menschen kennengelernt und sehr viel lustige und ernste Stunden mit ihnen verbracht. Ich habe gelernt, dass man mit sehr wenigen Dingen hervorragend klarkommt. Ich habe gelernt, dass man nicht immer genau das bekommt, was man möchte, aber mit etwas Vertrauen alles was man braucht. Mein Glauben an Gott hat sich gefestigt und ich habe begriffen, dass man nicht alles im Leben planen muss, sondern Sachen einfach mal auf sich zukommen lassen kann und sollte.
Empfehlung:
Meiner Meinung nach ist dieser Weg etwas für jeden. Wenn man etwas offen an die Sache rangeht und sich darauf einlässt, wird jeder sehr viel mehr mitnehmen, als er dies in einem normalen Urlaub könnte. Da ich auch sonst viel unterwegs und auf mich allein gestellt bin, war der „Lerneffekt“ nicht dramatisch, aber immer noch sehr lohnenswert. Für viele andere Pilger war der Weg eine echte Offenbarung. Sie haben viel Vertrauen gewonnen und viel über sich gelernt. Also, wer zwei Wochen Zeit hat (meiner Meinung nach das Minimum) – Rucksack packen und los!