Tag 1 Saint-Jean-Pied-de-Port – Roncesvalles
2. August 2013
Nach einer Nacht in dem sehr warmen Hotelzimmer, aber mit eineinhalb Liter Bier im Blut, bin ich gegen 6 Uhr vom Wecker aus dem Bett gerissen worden. Zum Frühstück gab es gar nichts, also ausser der Kopfschmerztablette und einem Glas Wasser – ein perfekter Start …
Um 7 Uhr sind wir dann losgelaufen, in der Hoffnung noch einen Kaffee und ein Baguette abzugreifen. Ich hätte wissen müssen, dass man in Frankreich nicht so früh aufsteht.
Die vor uns liegende Strecke gilt als die schwerste bis zum Ziel und da sie jetzt hinter mir liegt hoffe ich, dass es wahr ist. Wir wurden vorgewarnt, dass es auf den 26 Kilometern nur zwei Quellen gibt, aber keine Möglichkeit zur Verpflegung. Ich war also perfekt vorbereitet: Nicht gefrühstückt, kein Kaffee, zwei Liter Wasser in der Trinkblase und ein paar Eier-Waffeln vom Aldi im Rucksack.
Auf den ersten 5 Kilometern ging es 600 Meter bergauf. Wer das kennt, weiß, dass das wahrlich kein Geschenk ist! Die erste Wasserquelle war dringend nötig, da meine zwei Liter Wasser längst aufgebraucht waren, davon ungefähr 1,5 Liter in Form von Schweiß in den Klamotten.
Etwas später fand ich heraus, dass Kommunikation mit Gott keine Einbahnstraße ist: Unter Zeugen betete ich für eine Terrasse mit Blick auf das Tal und einen doppelten Espresso und gefühlte 5 Minuten später kam genau das. Eine Herberge mit Sonnenterrasse und italienischem Kaffee. Da wir glaubten, dass nichts auf dem Weg sein würde, wurde ich etwas merkwürdig angeschaut und ich vermute, dass ich jetzt für Verpflegungsgebete zuständig bin.
Nach einer unglaublich entspannten Pause ging es weiter. Immer noch bergauf, aber die nächsten 600 Höhenmeter zogen sich über 14 Kilometer, also etwas schonender.
Mein zweiter Wunsch nach einem Steak und Pommes wurde wenige hundert Meter später durch einen mobilen Verkaufsstand beantwortet, der Käse, Brot und Getränke verkaufte. Okay, das hat mich wieder Demut gelehrt – man bekommt nun mal nicht alles, was man möchte …
Bei der zweiten Quelle waren schon knapp 6 Liter durch meinen Mund gelaufen und durch die Poren zurück in die Klamotten.
Die letzten 4 Kilometer ging es teilweise ziemlich steil wieder zurück ins Tal. Was für eine Verschwendung: Erst quält man sich stundenlang den Berg hoch, um dann wieder alles innerhalb von einer Stunde „zu verlieren“.
Das Ziel auf spanischer Seite (habe keine Grenze gesehen) war der kleine Ort Roncesvalles, der nur aus einem riesigen Kloster und zwei Hotels/Restaurant besteht.
Landschaftlich war alles sehr beeindruckend, gerade wenn man über der Wolkendecke angekommen ist.
Meine körperliche Verfassung ist überraschend gut. Natürlich tut alles weh, aber die Knie haben mitgemacht und die Füsse sehen fast wie neu aus.
Mein Hotel in Roncesvalles ist ein Knaller. Ein paar Jahrhunderte altes Haus top modernisiert. Habe Wohnzimmer, Schlafzimmer und Badezimmer.
Heute haben wir uns ein Pilger-Abendessen genehmigt: 7 € für guten Wein, Wasser, Nudeln-Eintopf (erster Gang), Fisch und Pommes (zweiter Gang) und Flam (dritter Gang). Ich hätte noch nicht mal den Einkauf hinbekommen für den Preis. Am Tisch mit uns saß eine deutsche Familie, die den Weg laufen, mit ihrem Sohn (ein Jahr) und der Tochter (sechs Jahre). Ich muss mich wohl etwas zurückhalten beim zukünftigen Jammern. Andere Gründe nicht zu klagen: Die rumänische Pilgerbekannte will den Weg in 23 Tagen laufen (also ein Tagesschnitt von über 30 Kilometern ohne Pausen) und einige andere sind schon 800 Kilometer früher gestartet …
Die erlebte “Kameradschaft” mit den anderen Pilgern kannte ich in abgeschwächter Form nur vom Militär. Jeder redet mit jedem und es wird ständig gegrüsst und “Buen Camino” (guten Weg) gewünscht. Altersmässig gehöre ich eher zu den älteren Pilgern. Viele junge Leute aus der ganzen Welt; habe heute Leute aus allen Kontinenten kennengelernt (minus Arktis/Antarktis).
Erkenntnisse des Tages: Die Gerüchte, dass der Weg Dich mit dem versorgt, was Du brauchst wenn Du es braucht, ist korrekt.
Morgen Früh geht es um 0730 Uhr los, die Strecke ist 28 Kilometer lang, aber nicht mehr so heftig wie heute.
Jetzt werde ich mein Kopf auf das Kissen legen und gebe mir 3 Sekunden, bis der Sandmann kommt. Dank der grottigen Internetverbindung im Hotel hätte das schon vor 1,5 Stunden sein sollen, aber die Bilder benötigten ein „gewisse“ Zeit. Also, gute Nacht!